Nak zum 1. Mai: Unser Engagement für eine solidarische Gesellschaft ohne Armut geht weiter!

Berlin, den 30.04.2020. Anlässlich des 1. Mai, dem Tag der Arbeit, erklärt Gerwin Stöcken, Sprecher der Nationalen Armutskonferenz:

„Die Corona-Pandemie macht aktuell vor dem 1. Mai nicht halt. Auch wenn wir morgen nicht auf den Straßen sein können, geht unser Engagement für eine solidarische Gesellschaft ohne Armut weiter. Untersuchungen zeigen immer wieder, wie wichtig Arbeit für die meisten Menschen ist. Gesellschaftliche Teilhabe in unserer Gesellschaft muss daher bedeuten, Zugang zu guter und existenzsichernder Erwerbsarbeit zu haben, verlässliche soziale Sicherheit bei Arbeitslosigkeit zu erfahren und eine fördernde und unterstützende Arbeitsmarktpolitik vorzufinden, die immer wieder Brücken baut.

Mit diesem Anspruch auf Teilhabe und einen solidarischen Sozialstaat blicken wir auf die Gesellschaft, erleben jedoch eine andere Realität: Der Anteil prekärer Beschäftigungsverhältnisse bleibt hoch. Neun Millionen Menschen arbeiten zu Niedriglöhnen, über eine Million Menschen müssen ihren Lohn mit Hartz-IV-Leistungen aufstocken. Ein Jahrzehnt des Aufschwungs, steigender Ungleichheit und Vermögenskonzentration ist an armutsbetroffenen Menschen und unteren Einkommensgruppen vorbei gegangen. Besonders bitter ist die Situation der Millionen Beschäftigten in den systemrelevanten Berufen, die verlässlich und verantwortungsvoll für andere Menschen da sind und die Gesellschaft nicht nur während der Corona-Pandemie zusammenhalten. Diese systemrelevanten Berufe in den Branchen Gesundheit, Pflege, Erziehung und Einzelhandel vereint, dass sie mehrheitlich schlecht bezahlt und unter schwierigen Bedingungen ausgeübt werden.

Wir treten daher gemeinsam für eine andere Wirtschafts-, Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik ein – für  höhere Mindestlöhne und Regelbedarfe, für eine Stärkung der Tarifbindung, für Investitionen in die öffentliche und soziale Infrastruktur und für einen wirksamen Ausgleich zwischen Arm und Reich. Die Pandemie ist noch nicht vorbei, aber unsere Solidarität bleibt!“

Nak fordert: Arme Familien und Kinder bei den Corona-Maßnahmen nicht vergessen!

Berlin, den 23.04.2020. In einem politischen Appell fordert die Nationale Armutskonferenz gemeinsam mit mehreren Wohlfahrts-, Kinderrechts- und Familienverbänden, die materielle Absicherung armer Kinder und Familien in der Corona-Krise zu gewährleisten und die Notbetreuung auszuweiten. Gerwin Stöcken, Sprecher der Nationalen Armutskonferenz, erklärt:

„Mit dem gemeinsamen Appell machen wir deutlich: Die Corona-Pandemie setzt die Familien unter Druck. Trotz vieler wichtiger Maßnahmen der Bundesregierung und der Länder, um die wirtschaftliche Existenz von Millionen Menschen zu sichern, wurden die Bedarfe armutsbetroffener Menschen und Familien in dieser Situation noch nicht angemessen berücksichtigt. Im Gegenteil: Die Corona-Pandemie verschärft die Not vieler Menschen. Für Familien in der Grundsicherung und für ihre Kinder fehlen jedoch angemessene Maßnahmen.“

Im gemeinsamen Appell wird ausgeführt, dass mit der Schließung der Bildungs- und vieler sozialer Einrichtungen wichtige Versorgungsinfrastrukturen für Kinder mit einem Schlag wegfallen, etwa das kostenlose Mittagessen oder auch die Lebensmittelversorgung vieler Tafeln, die normalerweise rund eine halbe Millionen Kinder und Jugendliche in Deutschland versorgen. Auch in anderen Bereichen, wie Bildung, soziale Teilhabe oder Gesundheit, verschärfen sich eine schon bestehende Unterversorgung und Benachteiligungen vieler Kinder weiter. Zudem können in dieser Situation viele Familien und insbesondere Alleinerziehende nicht oder nur unter beschwerten Bedingungen ihrem Beruf nachgehen. Das gefährdet unmittelbar ihre Existenz. Gerwin Stöcken weiter:

„Wir fordern daher eine unbürokratische Erhöhung des Hartz-IV-Regelsatzes, um den Wegfall wichtiger Sozialleistungen zu kompensieren und um die coronabedingten Mehrbedarfe aufzufangen. Die Zugangskriterien für die Notbetreuung muss zudem ausgeweitet werden, um die Familien schnell zu entlasten. Viele Mitgliedsorganisationen in unserem Bündnis haben bereits tragfähige und konkrete Konzepte zu diesen und weiteren Fragen der Grundsicherung vorgelegt.“

Zur gemeinsamen Erklärung der Wohlfahrts-, Kinderrechts- und Familienverbände (PDF)

Nationale Armutskonferenz veröffentlicht die Dokumentation des 14. Treffens der Menschen mit Armutserfahrung

Unter dem Motto „Anspruch und Wirklichkeit – Wie gelingt Teilhabe für alle?“ fand am 18.-19. November 2019 das jährliche Treffen der Menschen mit Armutserfahrung in Berlin zum nunmehr 14. Mal statt. Mit über 100 Teilnehmenden hat die Nationale Armutskonferenz erneut ein Zeichen im Armutsdiskurs gesetzt. Die Treffen sind eine Plattform für politischen Austausch und Vernetzung und stärken die politische Teilhabe von Menschen, die in Armut leben. Im politischen Raum kommen ihre Anliegen häufig zu kurz. In den vielen Workshops, in Podiumsdiskussionen, Vorträgen sowie in Gesprächen mit Politiker*innen standen die Perspektiven von Menschen mit Armutserfahrung daher im Mittelpunkt. Zudem gestalteten Menschen mit Armutserfahrung das Treffen in einer Vorbereitungsgruppe mit und beteiligten sich aktiv an der Umsetzung und Ergebnissicherung der Workshops. Die vielen Perspektiven und Diskussionen sind nun in der Dokumentation des Treffens festgehalten. In ihr wird die Vielfalt von Armutslagen und politischen Positionen ebenso sichtbar wie das unermüdliche Engagement der Betroffenen. Die Nationale Armutskonferenz wird die gewonnenen Erkenntnisse in den verschiedenen politischen Kontexten einbringen.

Zum Download der Dokumentation (PDF, 3 MB)

Nak fordert: Nicht mit der Menschenwürde spielen – Für einen respektvollen Armutsdiskurs!

Berlin, 07.04.2020. Anlässlich der Publikation „Armutszeugnis. Wie das Fernsehen die Unterschichten vorführt“ der Otto-Brenner-Stiftung und des damit verbundenen Appells an Journalist*innen und Sozialverbände, gemeinsam mit Betroffenen einen Leitfaden zur respektvollen Armutsberichterstattung zu erstellen, kommentiert Gerwin Stöcken, Sprecher der Nationalen Armutskonferenz:

„Die Nationale Armutskonferenz verfolgt den öffentlichen und medialen Armutsdiskurs schon länger mit großer Besorgnis. Neben vielen Positivbeispielen stellen wir auch immer wieder fest, dass der Versuch unternommen wird, abwertende Zerrbilder von armutsbetroffenen Menschen zu konstruieren. Damit werden Klischees und Vorurteile über hilfebedürftige Menschen in der öffentlichen Wahrnehmung bedient. Das trägt zu einem gesellschaftlichen Klima bei, das armen Menschen Hilfewürdigkeit abspricht, die Solidarität untergräbt und Menschen gegeneinander aufhetzt. Wir lehnen es entschieden ab, mit der Würde der Menschen zu spielen. Armut sollte nicht in Unterhaltungsformaten verhandelt werden. Das ist nicht unsere Vorstellung von einem gesellschaftlichen Miteinander, bei dem sich alle Menschen auf Augenhöhe und mit gegenseitigem Respekt begegnen.“

Im Rahmen eines Diskussionspapiers der Otto-Brenner-Stiftung wurde die Darstellung von armutsbetroffenen Menschen in mehreren Formaten im Privatfernsehen sowie in öffentlich-rechtlichen Programmen untersucht. Die Analyse kommt zu dem Ergebnis, dass insbesondere in privaten Formaten die Berichte häufig „einseitig, klischeehaft, manipulativ und diffamierend“ ausfielen. In der kritischen Öffentlichkeit würden diese Formate kaum beachtet. In öffentlich-rechtlichen Programmen, so die Analyse, werde das Thema Armut zwar in einzelnen Reportagen und Berichten thematisiert, komme aber insgesamt zu kurz.

Gerwin Stöcken weiter: „Wir brauchen einen ernsthaften und sachlichen Diskurs darüber, welche sozialpolitischen Maßnahmen notwendig sind, um Armut endlich wirksam zu überwinden! Daher sind wir über den Diskussionsanstoß durch die Otto-Brenner-Stiftung sehr dankbar und begrüßen die Erarbeitung eines Leitfadens für respektvolle Armutsberichtserstattung. Die Nationale Armutskonferenz steht für eine solche Initiative zur Verfügung.“

Mehr Informationen zur Publikation:
https://www.otto-brenner-stiftung.de/wissenschaftsportal/informationsseiten-zu-studien/armutszeugnis-wie-das-fernsehen-die-unterschichten-vorfuehrt/

nak warnt: Arme Menschen sind durch die Folgen der Pandemie besonders gefährdet

Berlin, 27.03.2020. Die Bundesregierung hat auf die Corona-Krise schnell reagiert: Für Menschen in finanziellen Notlagen und Leistungsbezieher wurden Erleichterungen geschaffen. Deren Situation entschärft das aber nicht genug. Die Nationale Armutskonferenz warnt, dass das Gesundheitsrisiko für arme Menschen besonders hoch ist – und die Krise sie noch weiter ins Abseits drängen wird.

Dazu erklärt Gerwin Stöcken, Sprecher der Nationalen Armutskonferenz: „Die Maßnahmen, die uns als Gesellschaft helfen, die Krise bestmöglich zu überstehen, treffen manche Menschen härter als andere. Wer keinen Wohnraum hat oder auf beengten Verhältnissen leben muss, kann sich schneller infizieren als jene, die in idealeren Bedingungen leben können. Viele Anlaufstellen für Menschen in finanzieller Not mussten schließen, so dass es für manch einen Hilfsuchenden zur Odyssee werden kann Hilfe beim Obdach und Essen zu erhalten. Und es darf einfach nicht sein, dass vor allem Frauen in prekären Arbeitsverhältnissen als systemrelevant unsere Gesellschaft am Laufen halten, die Kinder betreuen und sich um die Pflege von Angehörigen sorgen und dabei selbst kaum entlastet werden.

Die Epidemie zwingt uns ins Private zurück. Das bedeutet, dass auch Armut nicht mehr so sichtbar ist. Sie ist aber immer noch da und verschärft sich während und nach der Pandemie aller Wahrscheinlichkeit nach noch. Wir dürfen davor nicht die Augen verschließen, sondern müssen handeln – um jetzt Menschen vor Verelendung zu bewahren und um Strategien zu haben, wenn sich nach der Krise die wirtschaftlichen Folgen zuspitzen.“

Spaltungen verhindern, Zusammenhalt stärken – kein „Weiter-So“ bei den Regelsätzen!

Anlässlich der anstehenden Neuberechnung der Hartz-IV Regelsätze fordert die Nationale Armutskonferenz gemeinsam mit vielen anderen zivilgesellschaftlichen Organisationen, die Regelsätze dieses Mal bedarfsdeckend auszugestalten. Hier ist der gemeinsame Brief, der diese Woche an das Bundesministerium für Arbeit und Soziales und ab Mitglieder des Bundestages verschickt wurde. Für die nak ist klar: Es darf kein „Weiter so“ bei den Regelsätzen geben.

Berlin, 11. März 2020
Im Jahr 2020 steht eine grundlegende Neu-Bemessung der Regelsätze in der Grundsicherung auf der Tagesordnung. Dazu ist der Gesetzgeber verpflichtet, wenn die Ergebnisse der Einkommens- und Verbrauchsstichprobe 2018 vorliegen.

Die Unterzeichnenden appellieren an die politisch Verantwortlichen, bei der Neu-Bemessung der Regelsätze nicht das äußerst kritikwürdige Verfahren aus den Jahren 2011 und 2016 zu wiederholen.

Dieses Verfahren zur Ermittlung der Regelsätze führte zu einer Abwärtsspirale und hat erhebliche Defizite. Fünf Beispiele:

  • Die Regelsätze von Erwachsenen werden aus den Konsumausgaben der unteren 15 Prozent der Ein-Personen-Haushalte mit den geringsten Einkommen hergeleitet bzw. die Regelsätze der Kinder aus den Konsumausgaben der unteren 20 Prozent der Paar-Haushalte mit einem
    Kind. Dabei wird das Wenige, das einkommensschwache Haushalte aufgrund begrenzter Mittel ausgeben können, unreflektiert mit dem Existenzminimum gleichgesetzt, das sichergestellt werden soll. Gleichzeitig werden die Bedarfe, die Eltern tätigen, um ihre Kinder am gesellschaftlichen Leben teilhaben zu lassen, nicht berücksichtigt.
  • Das Ziel, armen Kindern echte Teilhabechancen zu gewähren, verträgt sich nicht mit der Versorgung auf einem minimalistischen Niveau.
  • Zwar werden Grundsicherungs-Beziehende vorab aus der Vergleichsgruppe herausgenommen, nicht jedoch Haushalte, die ihren Anspruch gar nicht geltend machen und deren Einkommen unter dem Hartz-IV-Niveau liegt. Dies senkt die statistisch messbaren Konsumausgaben und drückt die Regelsätze nach unten.
  • Eine Vielzahl von Ausgaben, die die einkommensschwachen Haushalte in der Vergleichsgruppe tatsächlich tätigt, wird bei der Herleitung der Regelsätze als „nicht relevant“ herausgestrichen. Dazu gehören Malstifte für Schulkinder, der Weihnachtsbaum, Familienfeste wie Konfirmation, Kommunion oder Jugendweihe, Zimmerpflanzen, Haustiere, Handykosten, Taschen, Regenschirme, Adventsschmuck, Versicherungen, Babysitter bei Schichtdienst, rezeptfreie Medikamente und Gastgeschenke bei Geburtstagsfeiern.
  • Mit der Einkommens- und Verbrauchsstichprobe können besondere Ausgaben nicht hinreichend dargestellt werden. Hierzu fehlen in vielen Fällen Sondererhebungen oder ergänzende Bedarfsermittlungen, insbesondere bei den Stromkosten und bei familienbezogenen Ausgaben

Die Unterzeichnenden fordern, die Regelsätze gründlich, realistisch, transparent und sachgerecht herzuleiten und auf unschlüssige Streichungen bei den ermittelten Ausgaben zu verzichten. Folgende Anforderungen sollten beachtet werden:

1. Die Regelsätze sind eine einheitliche Pauschale für alle. Eine Pauschale kann aber sinnvollerweise nur solche Bedarfe des täglichen Lebens abdecken, die bei allen Haushalten regelmäßig und in vergleichbarer Höhe anfallen. Ausgaben für langlebige Gebrauchsgüter wie etwa für ein Kinderfahrrad oder eine Waschmaschine, die nur in großen zeitlichen Abständen notwendig sind und daher nur bei sehr wenigen Haushalten im gleichen Zeitraum anfallen, lassen sich über die EVS nicht sachgerecht abbilden, da die EVS für einzelne Positionen die durchschnittlichen Ausgaben aller Haushalte ausweist. Gleiches gilt für besondere personenbezogene Bedarfe bei Krankheit oder im Alter, die bisher nicht ausreichend berücksichtigt werden.

Für langlebige Gebrauchsgüter sollten daher auf Antrag separate Einmalleistungen als Zuschuss gewährt werden, bei Krankheit und im Alter angemessene Zuschläge entsprechend
der besonderen Bedarfe.

2. Ausgangspunkt der Regelsätze sollten zunächst die Ausgaben von Haushalten in der Mitte der Gesellschaft sein. Anschließend ist, differenziert nach unterschiedlich relevanten Ausgabenbereichen,
politisch zu entscheiden, welche Abstände zu den Ausgaben mittlerer Einkommen in der Grundsicherung vertretbar sind und welche Prozentanteile von den Ausgaben der Mitte für die Festsetzung der Regelsätze maßgebend sein sollen. Auf jeden Fall muss sichergestellt
sein, dass die Ausgaben der festgelegten Referenzgruppe nicht lediglich die bestehende Armut der Gruppe zum Ausdruck bringt.

Statt sich an den Ärmsten der Armen zu orientieren, müssen politisch Mindeststandards für eine ausreichende materielle Ausstattung und für soziale Teilhabe festgelegt werden.

3. Nicht alle Ausgabenpositionen lassen sich über die EVS sinnvoll ermitteln. Um angemessene Stromkosten feststellen zu können, reicht nicht die Bezugnahme auf die ärmsten Haushalte. Gerade in prekären Formen der Unterbringung oder bei Untermiete wurde der Stromkostenanteil mit der EVS gar nicht ermittelt, so dass die Sätze unrealistisch niedrig sind. Sinnvoller ist eine Ermittlung von notwendigen Stromkosten entsprechend der typischen Lebenssituation nach Haushaltsgröße, wie sie der Deutsche Verein, der Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft sowie die Nationale Armutskonferenz vorschlagen. Ebenso sind wirksame Wege der Schuldenregulierung nötig. Hierzu liegen detaillierte Konzepte vor.

Die Stromkosten sollten nicht mehr aus der EVS, sondern bedarfsorientiert ermittelt, aus dem Regelsatz herausgelöst und separat gewährt werden.

4. Die Dynamisierung der Regelsätze sollte so ausgestaltet sein, dass die Diskrepanz zwischen den materiellen Mitteln der Haushalte im Grundsicherungsbezug und den materiellen Möglichkeiten „der Mitte“ nicht permanent größer wird. Der bisher geltende Mischindex stellt dies
nicht sicher. Da in den vergangenen Jahren die Löhne stärker gestiegen sind als die Preise, vergrößerten sich die Abstände zuletzt.

Die Regelsätze sollten jährlich entsprechend der Lohnentwicklung fortgeschrieben werden. Liegt die Preisentwicklung über der Lohnentwicklung, erfolgt die Anpassung anhand der
Preisentwicklung.

5. Die Höhe der Regelätze ist prägend für die Lebenssituation von Millionen von Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen. Bei der Neufestsetzung geht es um die Frage, welcher Geldbetrag mindestens notwendig ist, um in der reichen Bundesrepublik menschenwürdig leben und teilhaben zu können. Die Relevanz der Entscheidung erfordert eine breite gesellschaftliche
Beteiligung und Debatte. Eine Herleitung der Regelsätze alleine durch das Bundesarbeitsministerium und ein anschließender Bundestagsbeschluss ohne weitere Prüfung sind nicht angemessen.

Es sollte eine Sachverständigenkommission eingesetzt werden, bestehend aus Wissenschaftler*innen, Vertreter*innen von Sozial- und Wohlfahrtsverbänden sowie Gewerkschaften und Betroffenenorganisationen, die konkrete Vorschläge für die Ermittlung des Existenzminimums erarbeitet. Der Bundestag sollte nicht nur über „Zahlen“ debattieren, sondern darüber, waseine Grundsicherung qualitativ leisten soll.

Unser gemeinsames Ziel ist eine Existenzsicherung, die die bestmögliche Förderung der Leistungsberechtigten im Blick hat.

Gerne steht die nak unter nak@awo.org für einen weiteren Austausch zur Verfügung.

Hier geht es zum vollständigen Brief des Bündnisses für ein menschenwürdiges Existenzminimum (PDF-Datei).

 

nak fordert zum Internationalen Frauentag: Armutslagen von Frauen in den Fokus der öffentlichen Aufmerksamkeit holen

Berlin, 08. März 2020. Anlässlich des Internationalen Frauentages am 08. März erklärt der Sprecher der nak Gerwin Stöcken:

„Armut hat immer noch viel zu oft ein weibliches Gesicht. Sowohl in jungen Jahren als auch im Alter sind Frauen deutlich stärker armutsgefährdet als Männer. So vielfältig die Lebenslagen von Frauen sind, so einheitlich ist das Armutsrisiko. Besonders der eingeschränkte Zugang zu existenzsichernden Arbeitsplätzen und die Tatsache, dass Arbeitsmarkt-, Familien- und Sozialpolitik sich immer noch stark an traditionellen Familienmodellen orientieren, führt für viele Frauen in die Armutsfalle.“

„Ein wesentlicher Grund für diese fortbestehenden Unterschiede ist die ungleiche Aufteilung der unbezahlten Arbeit in Familie und Haushalt – etwa für Kinderbetreuung und Pflege. Wie eine jüngst veröffentlichte Studie der Hans-Böckler-Stiftung zum Stand der Gleichstellung von Frauen und Männern in Deutschland zeigt, macht unbezahlte Arbeit bei Frauen 45 Prozent an der Gesamtarbeitszeit aus. Bei Männern sind es hingegen nur 28 Prozent, auch wenn Männer zum Beispiel bei der Pflege langsam mehr Aufgaben übernehmen. Um Familie und Erwerbsarbeit unter einen Hut zu bringen, arbeiten Frauen gut viermal so häufig Teilzeit wie Männer“, so Stöcken weiter.

In einem gemeinsamen Aufruf forderten die nak und die Landesarmutskonferenzen deshalb bereits in der Broschüre „Armutsrisiko Geschlecht“ konkrete Maßnahmen zur Bekämpfung von Frauenarmut: Es gilt erstens den Gender-Pay-Gap zu schließen, das heißt mehr Vollzeitjobs für Frauen und gleicher Lohn für gleichwertige Arbeit. Zweitens müssen Berufe, in denen vorwiegend Frauen tätig sind, wie der Einzelhandel und das Sozial- bzw. Gesundheitswesens, dringend monetär aufgewertet werden. Und drittens darf die Sorgearbeit für Kinder oder zu pflegende Angehörige nicht länger die Ursache dafür sein, in Armut zu geraten. Dafür braucht es im Steuer-, Sozial- und Familienrecht einen angemessenen Familienlastenausgleich. Das Ehegattensplitting muss einer Individualbesteuerung mit einem übertragbaren Grundfreibetrag weichen und eine neue bedarfsdeckende einheitliche Geldleistung für alle Kinder geschaffen werden.

Der Aufruf „Armut von Frauen in Deutschland nicht länger hinnehmen!“ ist Teil der nak Broschüre „Armutsrisiko Geschlecht“. Die Broschüre finden Sie hier.

Zum Hintergrund:

Seit über 100 Jahren findet am 8. März der Internationale Frauentag statt. Auch wenn sich die Rolle der Frau in der Gesellschaft seit 1911 gewandelt hat, wird der Tag dafür genutzt, um auf bestehende globale Probleme aufmerksam zu machen. Die Nationale Armutskonferenz (nak) ist ein Bündnis von Organisationen, Verbänden und Betroffenen-Initiativen, die sich für eine aktive Politik der Vermeidung und Bekämpfung von Armut einsetzen. Die Verbesserung von Teilhabe und Partizipation für alle Menschen, unabhängig von ihrem Einkommen, ihren sozialen, kulturellen oder individuellen Merkmalen, ist eines der zentralen Ziele der nak.

nak zur „Nacht der Solidarität“: Zählung müssen weitere Schritte nachfolgen

Berlin, 29. Januar 2020. Zum ersten Mal werden heute in Berlin „in einer Nacht der Solidarität“ obdachlose Menschen gezählt und befragt, die nachts auf der Straße schlafen. Nach dem Vorbild anderer Metropolen wie Paris und New York ist Berlin die erste deutsche Stadt, die eine solche Zählung vornimmt. Hierzu erklärt der Sprecher der nak, Gerwin Stöcken:

„Grundsätzlich ist es wichtig und richtig, dass die Situation obdachloser Menschen eine hohe Aufmerksamkeit erfährt, denn ohne jede Unterkunft auf der Straße zu leben ist die schärfste Form von Armut und sozialer Ausgrenzung. Ein entsprechend armutssensibler Zugang während der Zählung ist daher unerlässlich.“

Die nak und ihre Mitgliedsverbände fordern seit vielen Jahren die Einführung einer bundesweiten Wohnungslosenstatistik in Deutschland. Mit dem aktuellen Gesetz zur Einführung einer Wohnungslosenberichterstattung, dem der Deutsche Bundestag am 16. Januar 2020 in 2. und 3. Lesung zugestimmt hat, wurde hierfür erstmals eine gesetzliche Grundlage geschaffen. Die große Gruppe wohnungsloser Personen, die auf der Straße nächtigen, wird in den erhobenen Daten jedoch nicht sichtbar. Eine Möglichkeit, diese Gruppe zu erfassen ist es, Straßenzählungen durchzuführen, wie die nak auch in ihrer Stellungnahme zum Gesetzesentwurf angemerkt hat.

„Diesem ersten wichtigen Schritt des Zählens müssen jedoch weitere Schritte nachfolgen: Neben den unmittelbaren Hilfe für obdachlose Menschen muss vor allem die Aufgabe der Schaffung von bezahlbaren Wohnungen für wohnungslose Menschen in Angriff genommen werden. Die aus der heutigen Zählung gewonnenen Erkenntnisse dürfen deshalb nicht nur zur Linderung von Symptomen genutzt, sondern müssen als deutliches Signal zunehmender sozialer Ausgrenzung mit langfristigen Folgen für die Menschen verstanden werden“, so Stöcken.

Zum Hintergrund:
Etwa 3.700 ehrenamtliche Helfer werden heute Nacht auf festgelegten Routen durch die Berliner Bezirke laufen und die Menschen zählen, die auf der Straße leben. Organisiert wird die Zählung von der Senatsverwaltung für Soziales unter dem Titel „Nacht der Solidarität“. Der Senat erhofft sich u. a. Erkenntnisse darüber, welche Sprache die Obdachlosen sprechen, wie viele Frauen und Minderjährige darunter sind.

BVerfG: Grundgesetz schützt Hilfsbedürftige und baut Brücken in die Erwerbsarbeit

Berlin, 05. November 2019. Anlässlich der heutigen Urteilsverkündung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) zur Zulässigkeit der Sanktionen im SGB II erklärt der Sprecher der Nationalen Armutskonferenz (nak) Gerwin Stöcken: „Nach fast 15 Jahren Sanktionspraxis im SGB II begrüßen wir, dass das BVerfG das Sanktionsregime endlich verfassungsgerichtlich beurteilt und die Kürzungen über 30 % für verfassungswidrig erklärt hat. Wir fordern aus Respekt vor dem Gericht und den Menschen die Jobcenter auf, dies in der Anwendung konsequent umzusetzen “, betont der Sprecher der nak.

Nicht verfassungsgemäß sind nach dem BVerfG daher alle Kürzungen die mehr als 30 % des Regelsatzes betreffen. Zumutbar ist eine Leistungsminderung in dieser Höhe aber nur, wenn in einem Fall außergewöhnlicher Härte von der Sanktion abgesehen werden kann und die Minderung nicht unabhängig von der Mitwirkung der Betroffenen starr drei Monate andauert.

Das heutige Urteil hat erhebliche Relevanz für die Lebenssituation von fast 6 Mio. Menschen im Hartz IV-Bezug. Wir freuen uns deshalb, dass das BVerfG Farbe bekannt und Flagge gezeigt hat gegen die derzeitige Sanktionspraxis im SGB II. Die bisherige Praxis im SGB II ist nicht geeignet eine dauerhafte Integration in den Arbeitsmarkt zu gewährleisten. Sanktionen führen vielmehr zu Verschuldung, Obdachlosigkeit und einer immer weiterer Entfernung vom Arbeitsmarkt“, bekräftigt Gerwin Stöcken.

„Wir erwarten nunmehr, dass der Gesetzgeber seine Hausaufgaben macht und die Sanktionen im SGB II deutlich beschränkt. Gefordert ist vielmehr ein Kurswechsel im SGB II-Regime. Beschäftigungs- und Sozialpolitik sollte auf Sanktionen und Druck verzichten und die Motivation und Selbstbestimmung der Menschen unterstützen. Nur so kann Arbeit eine positive Rolle im Leben der Betroffenen einnehmen anstatt prekäre Beschäftigung zu befördern.“

Zum Hintergrund:

Nach den Erwägungen des BVerfG steht es dem Grundgesetz nicht entgegen, an der Überwindung der eigenen Hilfsbedürftigkeit selbst aktiv mitzuwirken. Diese Mitwirkungspflicht darf der Gesetzgeber auch durch belastende Sanktionen durchsetzen. Die derzeitige Ausgestaltung schafft allerdings eine außerordentliche Belastung, welche den strengen Anforderungen der Verhältnismäßigkeit nicht gerecht wird.

Die Nationale Armutskonferenz ist Mitunterzeichnerin der gemeinsamen Erklärung des Bündnisses für ein menschenwürdiges Existenzminimum. Die gemeinsame Pressmitteilung des Bündnisses finden Sie hier: gemeinsame Erklärung Sanktionen_SGB_II

Nationale Armutskonferenz fordert politisches Engagement gegen Armut

Anlässlich des Internationalen Tages für die Beseitigung der Armut am 17.10. erklärt Gerwin Stöcken, Sprecher der Nationalen Armutskonferenz:

„Armut ist weiterhin bittere Realität in Deutschland. Daran haben auch wirtschaftlich günstige Rahmenbedingungen der letzten Jahre wenig geändert. Ob in Form von Kinder- und Familienarmut, Altersarmut, Wohnungsnot, Krankheit, Erwerbsarmut, Arbeitslosigkeit oder Ausgrenzung: Armut betrifft immer mehr Menschen in der Gesellschaft. Arme Menschen sind pausenlos damit beschäftigt, über die Runden zu kommen, während sie gesamtgesellschaftlicher Abwertung, Stigmatisierung und Diskriminierung ausgesetzt sind. Wo verlässliche und auskömmliche Hilfe, Kontakt, Unterstützung und Teilhabe angebracht wären, erleben viele Menschen Ausgrenzung, Anfeindungen und individuelle Schuldzuschreibungen für ihre existenzbedrohende Lage. In solch einem vergifteten gesellschaftlichen Klima fällt es schwer, Solidarität zu organisieren.“

Als arm gilt, wer weniger als 60 Prozent des mittleren Haushaltseinkommens zur Verfügung hat. Für einen Einpersonenhaushalt ist diese Schwelle bei etwa 1000 Euro pro Monat erreicht1. Darunter liegen in Deutschland aktuell ca. 16%  oder rund 13 Millionen Menschen. Während die Ungleichheit von Einkommen und Vermögen weiter steigt, hat sich die Armutslücke, also der Betrag, der armen Haushalte bis zur Armutsrisikoschwelle fehlt, in den letzten Jahren deutlich vergrößert. Hinzukommt verdeckte Armut, bei der die betroffenen Menschen von wohlfahrtsstaatlicher Unterstützung nicht erreicht werden.

„Als zivilgesellschaftliches Bündnis hat sich die Nationale Armutskonferenz das Ziel gesetzt, die Perspektiven von armutserfahrenen Menschen stärker in den politischen Diskurs einzubringen. Denn wir stellen fest, dass mehr über arme Menschen statt mit armen Menschen gesprochen wird. Auf diese Weise entsteht kein ganzheitliches Bild von Armut und die Entwicklung gemeinsamer Strategien zu ihrer Überwindung wird unmöglich. Stattdessen beobachten wir eine zunehmende Entkopplung von Lebensrealitäten, die Teilhabe und Zusammenhalt untergraben. Wir fordern endlich entschlossenes politisches Handeln, das zu einer wirksamen Prävention, Bekämpfung und Überwindung von Armut führt.“

Zum Hintergrund:
Die Nationale Armutskonferenz (nak) ist im Herbst 1991 als deutsche Sektion des Europäischen Armutsnetzwerks EAPN (European Anti Poverty Network) gegründet worden. Sie ist ein Bündnis von Organisationen, Verbänden und Initiativen, die sich für eine aktive Politik der Armutsbekämpfung einsetzen. In den Jahren 2019 und 2020 hat der AWO Bundesverband die Geschäfts- und Federführung der nak inne.

[1] Quelle: Statistisches Bundesamt für das Jahr 2017