nak fordert Abschaffung der derzeitigen Sanktionspraxis im SGB II

Berlin, 15. Januar 2019. Anlässlich der heutigen Verhandlung des Ersten Senats des BVerfG zu den Sanktionen im SGB II über eine Vorlage des Sozialgerichts Gotha erklärt der Sprecher der Nationalen Armutskonferenz (nak) Gerwin Stöcken: „Es ist äußerst fraglich, ob Sanktionen ein geeignetes Mittel sind, um Menschen fit zu machen für den Arbeitsmarkt. Vor allem aber sollten wir uns bewusst machen: Das Recht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums ist nicht verhaltensabhängig. Statt auf Sanktionen sollte deshalb stärker auf die persönliche Beratung und Betreuung in den Jobcentern gesetzt werden, um den Betroffenen endlich auf Augenhöhe zu begegnen.“, betont Gerwin Stöcken.

„Gefordert ist vielmehr ein Kurswechsel in der Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik. Beschäftigungspolitik sollte auf Sanktionen und Druck verzichten und vielmehr die Motivation und Selbstbestimmung der Menschen unterstützen. Nur so kann Arbeit eine positive Rolle im Leben der Betroffenen einnehmen anstatt Arbeit im Niedriglohnsektor zu befördern. Notwendig sind neben einer Abschaffung der derzeitigen Sanktionspraxis zudem höhere Regelsätze in der Grundsicherung und die weitere Erhöhung des gesetzlichen Mindestlohns.“, so Stöcken weiter.

„Eine Entschärfung des Sanktionssystems hinsichtlich Bedarfsgemeinschaften wäre zudem ein wichtiger und längst überfälliger Beitrag zur Bekämpfung von Kinder- und Familienarmut. Denn Kinder haben im ‚Hartz-IV-System‘ nichts verloren! Das derzeitige System mit seiner starren Sanktionsdauer von drei Monaten ist viel zu rigide und drastisch und trifft besonders Familien mit unvermittelter Härte. Aus den Erfahrungen vieler in der nak aktiver Menschen im SGB II-Leistungsbezug wissen wir, Sanktionen sind konterproduktiv, denn sie befördern Existenzängste und Existenznot.“

„Das BVerfG muss deshalb Farbe bekennen und klare Kante zeigen gegen die derzeitige Sanktionspraxis im SGB II. Als absoluten Minimalkonsens erwarten wir, dass das BVerfG zumindest erheblich engere Vorgaben für die Verhängung von Sanktionen formuliert und die unterschiedlichen Sanktionsregelungen für unter 25-Jährge kippt, bekräftigt der Sprecher der nak abschließend.

Zum Hintergrund: Nachdem das BVerfG einen Vorlagebeschluss aus dem Jahr 2015 aus formalen Gründen zurückgewiesen hatte, hat die 15. Kammer des SG Gotha die Verfassungsmäßigkeit der Sanktionen im SGB II mit Beschluss vom 02. August 2016 erneut in Zweifel gezogen. Die Richter meinen, dass Sanktionen zu einer  Lebensgefährdung oder Beeinträchtigung der Gesundheit der Sanktionierten führen und  damit gegen das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit sowie gegen die Freiheit der Berufswahl verstoßen. In der Praxis der Jobcenter geht der Großteil der Sanktionen auf sog. Meldeversäumnisse zurück, etwa weil Leistungsbeziehende ohne Begründung nicht zum vereinbarten Gespräch erscheinen. Diese machen in der Praxis drei Viertel der Fälle aus. Komplett streichen können die Jobcenter die Hartz IV-Leistung nur im Ausnahmefall, auf Antrag gibt es dann Lebensmittelgutscheine.

 

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