Die Nationale Armutskonferenz engagiert sich auch auf europäischer Ebene und begleitet das Programm „Europa 2020“. Viel Gestaltungsraum für Armutspolitik hat die EU nicht, denn die Kompetenz dafür liegt bei den Mitgliedstaaten. Diese verpflichteten sich im Jahr 2000 mit der „Lissabon-Strategie“ dazu, mit nationalen Strategien gegen Armut und soziale Ausgrenzung anzukämpfen. Sie führten auch den Indikator der Armutsgefährdungsquote ein, einen EU-Standard zur Messung relativer Einkommensarmut. Das Ziel, Armut durch eine Erhöhung der Erwerbstätigenquote zu verringern, erreichte die EU jedoch nicht. Die Nachfolgestrategie „Europa 2020“ umfasst auch die Indikatoren materielle Armut und niedrige Erwerbsbeteiligung. Bezogen auf die Daten von 2008 und unter Berücksichtigung der drei Faktoren lebten insgesamt 116 Millionen Menschen in prekären Lebensverhältnissen. Ziel der Strategie ist es, ihre Zahl um 20 Millionen Personen zu verringern.Die deutsche Bundesregierung hat sich dafür entschieden, die relative und absolute Armut auszublenden und sich bei „Europa 2020“ nur darauf zu konzentrieren, die Erwerbsbeteiligung zu erhöhen. Ihr Ziel, die Anzahl der langzeitarbeitslosen Personen bis 2020 um 20 Prozent zu reduzieren, erreichte sie aufgrund der guten Konjunktur bereits frühzeitig. Sie passte die Zahl aber bislang nicht nach oben an.
Damit leistet Deutschland einen unzureichenden Beitrag zur Armutssenkung in Europa. Zwar stellt Arbeitslosigkeit eine wichtige Ursache für Armut dar. Aber die Langzeitarbeitslosigkeit zu reduzieren bedeutet nicht zwangsläufig, auch die Armut zu verringern. Denn die materielle Lage und andere Ursachen bleiben bei dieser Betrachtung außen vor. Die Armutskonferenz hat sich frühzeitig und intensiv am Verfahren „Europa 2020“ beteiligt. Die Bundesregierung berücksichtigte ihre Kritik aber nicht. Es zeigt sich, dass die Beteiligung nur pro forma erfolgt. Eine ernst zu nehmende, auch öffentliche Debatte fehlt. obwohl die EU-Kommission die wachsende Armut in Deutschland ebenfalls beanstandet, scheint „Europa 2020“ für sie keine große Rolle mehr zu spielen. Die Halbzeitbilanz ist lange angekündigt, aber bislang aus-geblieben. Nach wie vor sind in der EU die Mitgliedstaaten entscheidend, wenn es um Armutspolitik geht. Europäische Initiativen haben aber positive Anstöße durch Projekte und Begegnungen mit Menschen mit Armutserfahrung geliefert. Sie können jedoch nur Wirkung entfalten, wenn Mitgliedstaaten diese aufgreifen und mit Leben füllen.